Zusammenspiel der Realiatete als eines der Hauptprinzipien des Sujetaufbaus im Roman Stiller von Max Frisch
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Auch das Nachwort ist also aus einer subjektiven Perspektive
heraus erzaehlt, was man beachten muss um die Ehe Stillers mit Julika
in ihrer letzten Etappe zu beurteilen. Rolf sieht in ihm den eigentlich
Schuldigen, aber was er berichtet - Julikas mangelnde Anerkennung fuer
ihren Mann, ihr Verschweigen der bevorstehenden Operation, schliesslich
die Tatsache, dass sie allein ins Krankenhaus geht - widerlegt
eigentlich das, was er sagt. Wir wissen nicht, was in Julika vorgeht, denn es gibt in diesem Buch keinen allwissenden Erzaehler, der ins
Innere seiner Romanfiguren sehen kann. Die durchgehende
Perspektivierung des gesamten Romans zeigt jede Figur entweder so, wie
sie sich selbst sieht, oder als Bildnis in den Augen der anderen, niemals aber losgeloest aus ihrer zwischenmenschlichen Verflechtung.
Nicht epische Totalitaet, sondern Perspektivierung und Medialisierung
sind die Kennzeichen dieser Erzaehlhaltung.
Schlussfolgerung
Im ersten Kapitel der vorliegenden Forschungsarbeit haben wir uns mit folgenden Themen auseinandergesetzt und sind zu den Schluessen gekommen:
- Die zentralle Stellung in Frischs Werken nehmen Identitaetsfrage und Bildnisproblematik ein. Die Titelgestalt vom Roman "Stiller" will auch mit sich selbst nicht identisch sein, er fuehlt sich als Versager und flieht nach Amerika.
- Waehrend der Untersuchung der strukturellen Besonderheiten haben wir festgestellt, dass Frischs Einstellung zum Schreibprozess, seine Wahl der Architektonik und Form des Romans die strukturelle Offenheit moeglich macht. Das bedeutet, dass der
Autor dem Leser seine Meinung nicht aufzwingt und der Leser dementsprechen ueber verschiedene Interpretationsmoeglichkeiten verfuegt.
- Der komplizierte Aufbau des Romans widerspiegelt seine
Problematik. Man kann zwei Handlungsstraenge verfolgen, die
White- und Stillerhandlung, die am Ende zusammenfuehren, denn die Doppelidentitaet Stiller/White wird zu einer Einheit.
- Die Form und Funktion des Tagebuches ist im Roman mit der
Erzaehlsituation eng verbunden, weil die Erzaehlsituation durch
Stillers Aufenthalt im Gefaengnis bestimmt ist. In der Analyse wird Ich- Erzaehlsituation und ihre Besonderheiten vom
Standpunkt der Erzaehltheorie von Stanzel untersucht. Der Autor waehlt die Ich-Erzaehlsituation, weil er innerliche Welt der
Titelgestalt aus subjektiver Sicht betrachten will. In dieser
Form wird der Leser fast automatisch ein Teil des Buches, da er sich durch die gewдhlte Erzдhlperspektive in die Rolle Stillers hineinversetzen muЯ.
II. Zusammenspiel der Realitaeten
Der komplizierte Aufbau des Romans, die von Max Frisch gewaehlte Form
des Tagebuchs und als Folge die offene Struktur des Romans haben dazu
gefuehrt, dass der Text nicht homogaen ist. Im Rahmen der fiktionalen
Wirklichkeit des Romans koennen verschiedene Schichten der inneren
Realitaet ausgesondert werden. Die Mehrschichtigkeit kommt dann zum
Ausdruck, wenn der Leser mit Perspektivierungen der Erzaehlung und
verschiedenen Ebenen der Textwirklichkeit konfrontiert wird. Das sind:
(Stillers Einreise in die Schweiz einerseits und Nachwort des Staatsanwalts andererseits.
(Die Knobel erzaehlten Geschichten
(Parabolische Geschichten
(Traeume
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, uns mit dem komplizierten Problem der
textwirklichkeit auseinanderzusetzen und auf verschiedene Ebenen der
Textwirklichkeit im Roman praezieser einzugehen.
1. Der Begriff der Textwirklichkeit. Fiktionalitaet und
Virtualitaet im literarischen Text
Unter der fiktionalen Wirklichkeit ist nicht die Nachahmung der
objektiven Wirklichkeit zu verstehen, sondern eine besondere Wirklichkeit, die sich im Rahmen eines Textes realisiert und existiert. Die fiktionale
Wirklichkeit ist die innere Wirklichkeit eines fiktionalen, das heisst
eines literarischen Textes, die in diesem Text und durch diesen Text
existiert und ueber eigene Gesetzmaessigkeiten verfuegt.
Die Textwirklichkeit eines Textes stellt in sich keine Ganzheit dar, dementsprechend kann man einen literarischen Text mit einer Konstruktion, die aus vielen "Kaestchen" besteht, vergleichen. Paduceva bezeichnete diese
kleinen "Kaestchen" als "Fiktion zweiten Grades", oder "Fiktion in der
Fiktion" (Padu?eva 1996: 388). In der Struktur eines fiktionalen Textes
koennen Fragmente abgesondert werden, die ueber eine besondere Position im
Vergleich zur Hauptlinie des Erzaehlens verfuegen. Es handelt sich dabei um
autonome Textteile wie Traum, Tagtraum, erlebte Rede, Luege, Erzaehlung in
der Erzaehlung und aehnliche Erscheinungen, die in das Textganze
eingeflochten sind. Einzelne Textpassagen wie Rede, Wechselrede,
Landschaftsschilderungen oder Sujetereignisse weisen auf diese fiktionale
Wirklichkeit hin, sind also im Rahmen des fiktionalen Systems des Textes
verifizierbar.
"Und dann kam die Lava, langsam, aber unaufhaltsam, in der Luft
erkaltend und erstarrend, ein schwarzer Brei mit Wirbeln von weisslichem
Dampf; nur in der Nacht sah man noch die innere Glut in diesem steinernen
Brei, der naeher und naeher kam, haushoch, naeher und naeher: zehn Meter im
Tag". (Frisch, M. 1992: 47)
Anders Traeume und Luegen: "Im Fall einer erdachten Welt sind Objekte
und Situationen in der erdachten Textwelt Referenten der sprachlichen
Aeusserungen" (Paduceva 1996: 244). Diese Fragmente im Rahmen eines
fiktionalen Textes sind 'Eigentum' und 'Produkt' des Bewusstseins der
Textfiguren und somit im referenziellen System der Textwelt nicht
verifizierbar. Sie verfuegen meistens ueber einen besonderen Status und
lassen sich durch inhaltliche und sprachliche Signale aus dem Textganzen
aussondern.
"Von Julika getraeumt- wieder fast das gleiche: sie sitzt in einem
Boulevard-Cafe unter vielen Leuten und versucht, mir zu schreiben, den
Bleistift in den Lippen wie ein Schulmaedchen in Not, ich will auf sie
zugehen, bin aber von drei fremden (deutschen) Soldaten verhaftet, weiss, dass Julika mich verraten hat. Unsere Blicke treffen sich." (Frisch
1992:333)
Diese Textkonstruktion, naehmlich "Erzaehlung in der Erzaehlung", oder
mit anderen Worten "Text im Text", spitzt in erster Linie das Moment des
Spieles im Text zu. Gleichzeitig wird die Rolle der Textgrenzen
unterstrichen, sowohl der aeusseren, die den Text von dem 'Nicht-Text'
trennen, als auch der inneren, die Textteile mit verschiedenen Coden
aussondern.
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